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„Wie Vor-Gefühl an seiner Schulterbeuge…“ – Rodin in der Alten Nationalgalerie

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Ralph Gleis, Leiter der Alten Nationalgalerie, in der Ausstellung „Rodin – Rilke – Hofmannsthal. Der Mensch und sein Genius“ © Stiftung Preussischer Kulturbesitz
Ralph Gleis, Leiter der Alten Nationalgalerie, in der Ausstellung „Rodin – Rilke – Hofmannsthal. Der Mensch und sein Genius“ © Stiftung Preussischer Kulturbesitz

Die Alte Nationalgalerie ehrt Auguste Rodin in seinem 100. Todesjahr mit der Ausstellung „Rodin – Rilke – Hofmannsthal. Der Mensch und sein Genius“. Im Interview erklärt Ralph Gleis, Leiter des Hauses, das zentrale Thema der Ausstellung – den künstlerischen Austausch am Anfang des 20. Jahrhunderts.

Interview: Friederike Schmidt

Die Sonderausstellung „Rodin – Rilke – Hofmannsthal. Der Mensch und sein Genius“ ist keine gewöhnliche Rodin-Ausstellung, sondern beschäftigt sich neben dem Bildhauer Rodin auch mit den Dichtern Rilke und Hofmannsthal. Was ist die Beziehung zwischen diesen drei Größen des fin de siècle?
Ralph Gleis: Der Ausgangspunkt der Ausstellung ist Rodins Kleinplastik „Der Mensch und sein Genius“ oder „Der Held“, wie sie auch betitelt wurde. Diese ist eng mit dem Werk zweier Literaten verknüpft: einerseits mit Rainer Maria Rilke, der mit seinen Schriften großen Anteil an der Popularisierung Rodins in Deutschland hatte und zeitweise dessen Privatsekretär war. Andererseits mit Hugo von Hofmannsthal, der 1900 bei seinem Aufenthalt in Paris Rodin in seinem Atelier besuchte. Als er den Gips von „Der Mensch und sein Genius“ sah, gab er sofort einen Bronzeguss in Auftrag. Hofmannsthal stellte die Bronze in seinem Arbeitszimmer auf, wo sie ihm über 20 Jahre Inspiration und Schaffenskraft verlieh. Als finanzielle Not ihn zwang, die Statuette wieder zu verkaufen, bat er Rilke, ihm bei dem Verkauf seines Rodins zu helfen. Als enger Kenner Rodins verfügte Rilke über gute Kontakte zu Sammlern und zu verschiedenen Museen. Über seine Vermittlung kaufte der Schweizer Sammler Werner Reinhardt das Stück. Nach dessen Tod 1951 gelangte die Statuette über seinen Bruder Georg in den amerikanischen Kunsthandel, aus dem sie schließlich 1961 für die Sammlung der Nationalgalerie (West) angekauft wurde. Während Rilke sich um den Verkauf der Kleinplastik kümmerte, befand er sich in einer Schaffenskrise. Als er sich jedoch mit der Figur und erneut mit Rodin im Speziellen auseinandersetzte, schöpfte auch er neuen Mut. Er schrieb das Gedicht „Nike“, eines seiner wenigen Gedichte, das ganz direkt einem Kunstwerk zugeordnet werden kann. So ist dieses Werk – in zweifacher Hinsicht – ein direkter Anlass für Literaten zum Schreiben gewesen. Es ist mehr als nur die Darstellung von Inspiration im bildhauerischen Medium, sondern gleichzeitig der Impuls für neue Schöpfungen.

„Der Mensch und sein Genius“ gehört nicht zu den bekanntesten Werken Rodins – und bewirkte trotzdem diese Impulse für neue Schöpfung, wie Sie sagen. Wie zeigt sich das?
In gewisser Weise war Rodin ein Finalitätsverweigerer: seine Figuren wirken wie aus dem Fluss eines Schöpfungsprozesses herausgerissen, so wird das Fragmentarische zum gültigen Kunstwerk erhoben. Das macht die Besonderheit auch unserer Plastik aus. Das Fragmentarische des ohne Kopf und Arme auskommenden Genius beflügelt die Imagination des Betrachters, die dort ansetzt, wo die plastische Ausgestaltung vor dem Auge endet. Rodins Genius ist unvollendet vollendet im Torso, der bereits die gesamte Aussage enthält. Es ist die männliche Figur, die eine vielfache Deutung, als Held, als Denker, erfährt. Ihm entzieht sich der weibliche Genius oder vielleicht senkt sich auch der schöpferische Geist auf ihn herab. Das Thema der Bronze, die Inspiration, die hier zu entfliehen droht, ist dieser schöpferische Moment, den Rodin in vielen Werken festgehalten hat. Es geht ihm häufig in seinen Werken um einen kreativen Prozess, um die Darstellung des Mannes als Schöpfer, also eine selbstreferentielle Kunst. Unsere Bronze „Der Mensch und sein Genius“ ist mehr als ein Kunstwerk zur Anschauung erschaffen, es ist ein gegossener Denkanstoß, der die Literaten zu eigenen Schöpfungen inspirierte.

Ralph Gleis, Leiter der Alten Nationalgalerie, in der Ausstellung „Rodin – Rilke – Hofmannsthal. Der Mensch und sein Genius“ © Stiftung Preussischer Kulturbesitz
Ralph Gleis, Leiter der Alten Nationalgalerie, in der Ausstellung „Rodin – Rilke – Hofmannsthal. Der Mensch und sein Genius“ © Stiftung Preussischer Kulturbesitz

Welche Identifikationspunkte bietet das Werk Rodins für Literaten?
Das Identifikationsangebot der Kunst Rodins, die thematisch vielfach um die Geistestat, die Inspiration und den kreativen Akt kreist, musste für Künstler und speziell Schriftsteller besonders hoch sein. Das Warten auf Eingebung, das Glück der Schöpfung und der schmerzliche Verlust der Inspiration gehören zu den genuinen Erfahrungen des Künstlers, mit denen er ringt und nicht selten genug daran auch scheitert. Aber auch der Werkprozess selbst spielt in dem bislang wenig erforschten Beziehungsdreieck Rodin – Rilke – Hofmannsthal eine wesentliche Rolle: Rilke verglich in seiner Schrift über Rodin nicht umsonst die Bildhauerei mit literarischem Schaffen, wie auch Hofmannsthal später seine Arbeitsweise mit der Rodins in Analogie brachte. So schrieb er etwa 1900 in einem Brief, er „sitze zwischen Trümmern, halb festgehaltenen Gestalten, Details wie Rodin zwischen Gypshänden, Füßen und abgebrochenen Flügeln“.

In der Ausstellung wird die Statuette vor einer Wand präsentiert, auf der Rilkes Gedicht „Nike“ überdimensional groß abgedruckt ist. Welche neuen Perspektiven öffnen sich, wenn man die Statuette vor dem Hintergrund von Rilkes Gedicht betrachtet?
Betrachten wir nun das Werk Rodins durch die Augen Rilkes, so bekommen wir eine Version dessen vorgeführt, wie der Literat die bewusste Leerstelle der vieldeutigen Bronze mit den Mitteln der Poesie zu Ende dachte. Es wirkt anregend, als Betrachter seine eigene Geschichte aus der Figurenkonstellation abzulesen.

Die Alte Nationalgalerie verfügt über einen ansehnlichen Sammlungsbestand an Rodin-Werken. Wie kamen die Werke in die Alte Nationalgalerie?
Rodin in der Nationalgalerie – das ist eine Geschichte mit weit zurückreichender Tradition. Bereits seit der Jahrhundertwende wurden Schlüsselwerke des französischen Bildhauers auf der Berliner Museumsinsel präsentiert. Im Oktober 1896 erwarbt die Nationalgalerie unter ihrem neuen Direktor Hugo von Tschudi das erste Werk von Rodin: Ein Guss der 1883 entstandenen Büste von Jules Dalou als Schenkung von Max Liebermann. Durch die inzwischen legendäre Erwerbungstour des Direktors mit dem Künstler in Paris gelangte bekanntlich unter anderem Édouard Manets Wintergarten nicht nur nach Berlin, sondern der Impressionist überhaupt erstmals in eine Museumssammlung.
Bis 1905 konnten drei weitere Hauptwerke Rodins für die Nationalgalerie erworben werden, darunter Der Denker, jeweils mit der Unterstützung von privaten Kunstfreunden, denn die französische Kunst fand bei der offiziellen Ankaufskommission keine Unterstützung.
Diese Meisterwerke sind nun auf einer Bühne, oder einem Atelierboden zusammengestellt gemeinsam mit Werken aus dem Musée Rodin und der Kunsthalle Bremen, die allesamt um das für Rodin zentrale Thema der Inspiration, des künstlerischen Schöpferaktes kreisen.
Durch diese Bipolare Ausstellung gelingt die Verbindung von einer nahsichtigen, präzise ausgebreiteten Objektgeschichte im Kabinett, die eine multiperspektivische und interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Rodin ermöglicht mit einem großen Auftritt von Rodin im Saal der Impressionisten als Hommage an den Bildhauer.


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